Lake Tana – Urlaub vom „Urlaub“
15.-26.01. Urlaub vom Urlaub – oder Paradies am Lake Tana
Wir hatten schon mehrfach vom Tim and Kim Village in der Nähe von Gonder am Lake Tana gehört. Aber diese Oase übertraf unsere Erwartungen. Zwar ist das Projekt von Tim und Kim nach zweieinhalb Jahren noch lange nicht fertig, aber das bisher geschaffte ist beeindruckend und die ruhige Lage am Lake Tana atemberaubend schön. Trotz aller Ruhe und Abgeschiedenheit kann man das äthiopische Leben fußläufig im nahen Dorf jederzeit erleben. Nach unseren ersten Eindrücken von Äthiopien war das der ideale Ort um die vergangenen Monate einmal sacken zu lassen, abzuschalten, anzukommen. Während die Wäsche günstig abgegeben werden konnte, sorgte eine immer gefüllte Kühlbox und die super Küche von Kim dafür, dass sich wirklich alle erholen konnten. Dumm nur, dass ich gleich bei der Ankunft, auf unser Signalhorn angesprochen, verkündete, dass wir den Platz nicht ohne laufende Sirene verlassen würden.
Zusammen mit John schaute ich mir am ersten Tag noch schnell den Sitz der Dichtungen an den Antriebswellen an. Diese waren seit Wochen Grund für regelmäßige Getriebeölstandskontrollen. Leider benötigt man eine 41er Nuss, um den Zugang zu ermöglichen. So ziemlich das einzige Werkzeug, dass ich nicht dabei habe, nachdem ich mir den Abzieher für die Bremstrommeln in Assuan hatte anfertigen lassen. Damit war aber ein Job weniger hier zu tun und so beschränkte ich mich auf die üblichen Wartungsarbeiten der unzähligen Schmiernippel, Ölstandskontrollen, Luftfilterreinigung…. Schraubenkontrollen… Aber dennoch blieb auch für mich Zeit genug, die Füße hoch zulegen.
Am 18. nahm Tim mich mit nach Gonder, um mal wieder eine Nachricht übers Internet zu senden und einige Einkäufe zu tätigen. Wir dachten es wäre der Vorabend vom großen Timkat-Fest. Die Äthiopier feiern an diesem Fest mit großen Umzügen die Taufe Christi. Wir hatten uns nur im Tag vertan.
Gegen Mittag füllten sich die Straßen und Tausende Menschen zogen singend und trommelnd durch die Stadt. Vor den Priestern in farbenprächtigen Gewändern mit dem Allerheiligsten und durch prächtige Sonnenschirme geschützt, trommeln und tanzen sich unzählige „Messdiener“ den Weg durch die Massen. Angeführt wird der Zug von vielen Gruppen scheinbar übermütiger Halbstarker, die mit Stöcken bewaffnet und markerschütternden Gesängen irgendwelche Stockkämpfe vollführen. Leider konnnte ich die Bedeutung dieses Rituals nicht herauskriegen. Uns blieb ohnehin nicht viel Zeit das Geschehen zu bewundern. Wir mussten das Auto vor dem Zug der Massen aus der Stadt bekommen. Denn sobald die Massen eine Straße erreichen wird diese bis zum nächsten Mittag geschlossen und übernachten wollten wir nicht. Also verließ ich mit wehenden Fahnen und ziemlich frustriert unverrichteter Dinge das NetCafe, der Bericht war mal wieder abgestürzt.
Timkat begann einen Tag früher als gedacht. Zu spät also um am nächsten Tag mit der Familie nach Gonder zu fahren. Denn die Prozession startet ihren Rückweg wohl sehr früh und so wären wir nicht rechtzeitig über die üble Piste gekommen. Nachdem wir auf dem Rückweg noch zweimal in kleineren Timkat-Prozessionen in anderen Dörfern stecken blieben, machte sich Tims nicht ganz ernstgemeinte Prophezeihung war, dass auf seinen Reisen immer alle Transportmittel zusammenbrächen. Glücklicherweise waren wir mit seinem alten Auto (35 Jahre alter Toyota Landcruiser) unterwegs. Der Auspuff hielt der Buckelpiste trotz langsamster Fahrt nicht Stand und verabschiedete sich gleich komplett vom Krümmerrohr bis zum letzten Zentimeter. So wurden wir zumindest schon auf 15 km Entfernung den wartenden im Village angekündigt. Um mein Versprechen zu halten, besuchten die Kinder dann in Gorgora den Rückweg der kleinen Timkat-Prozession mit mir. Schon diese kleine Version war aber mehr als beeindruckend. Vor allem bot sich die Möglichkeit nicht nur aus der Ferne sondern sozusagen mittendrin dabei zu sein. Für Julia und Ronja war es nach einer Weile zu sehr mitten drin, denn gut ein Viertel der Dorfbevölkerung insbesondere der Kleinen interessierte sich mehr für die blonden Mädchen als für die Prozession und so war es hart sich immer wieder einen freien Blick durch die eigenen Beobachter zu kämpfen. Dennoch waren sie schwer beeindruckt von diesem Fest.
Darüber hinaus gab es im Tim & Kim Village genügend zu entdecken. Schwimmen im Lake Tana (für die Mädels etwas kalt), Affen direkt von Grisu aus zu besichtigen, das Heulen der Hyänen und manchmal ein Grunzen eines Hippos. Darüber hinaus Vögel beobachten mit Mami und nicht zu vergessen Freundschaft schließen mit den Hunden von Tim und Kim – mit das schwierigste an diesem Ort. Außerdem konnte endlich Kasperletheater geübt werden und am Ende unseres Aufenthalts wurde das mit einer großen Aufführung mit 6 Gästen gefeiert.
Bei so viel Erholung ist es klar, dass Marcel irgendwann auf dumme Ideen kommt. Genaugenommen kam die dumme Idee von Tim und Chris und ich war natürlich gleich interessiert. Als ich dann noch die „Freigabe von der Regierung“ hatte, war der Weg frei, für den Urlaub vom Urlaub vom Urlaub. Kurz ein Männer-„Tankwa-Trip“ auf dem Lake Tana. Tankwas sind begrenzt schwimmfähige Paphyrus-Kanus, mit denen die Einheimischen fischen gehen. Wir wollten drei solcher U-Boote nutzen, um alte portugiesische Ruinen auf den umliegenden Inseln zu suchen und mittels GPS zu lokalisieren. Denn einige davon sind noch in keiner Karte markiert bzw. nicht mal der einschlägigen Literatur bekannt. So sollte der Trip auch der zweiten Auflage eines eben solchen Buches eines Kanadiers zu Gute kommen. Die erste Probefahrt am Vortag unseres Trips ließ bereits einige Zweifel aufkommen, ob dieses Fortbewegungsmittel das Richtige sei für mein – wenn auch reduziertes – Kampfgewicht. Bin ich doch im Vergleich zu den Äthiopiern ein ziemlicher Brocken. Nachdem Julia, die sich mittlerweile zur hervorragenden Fotografin gemausert hat – sie macht mit Abstand die besten Portraits, meine unzähligen Tauchgänge peinlich genau dokumentiert hatte, kam dann aber schließlich doch die Zuversicht und das Gefühl für das Boot und ich entschied mich tatsächlich mit zu fahren. Jedes Boot war bewaffnet mit einer wasserdichten Tonne – so hatte unsere Waschmaschine mal ausnahmsweise ihre ursprüngliche Bestimmung. Darin waren neben Schlafsäcken, Wasserfilter, einige Vorräte und unser Innenzelt, denn zu dieser Jahreszeit regnet es laut Tim ja nie…
Aufgings früh am nächsten morgen und wir gewöhnten uns schnell daran, in den nächsten Tagen nur noch zum schlafengehen einen trockenen Hintern zu bekommen, denn die Auftriebskraft der Boote reichte zwar unseren Oberkörper über Wasser zu halten, mehr aber nicht. Wir entdeckten die Ruinen einer kleinen Festung, einen kleinen Signalposten und konnten eine als Steinbruch genutzte Höhle lokalisieren, die wahrscheinlich dazu genutzt wurde, die Verzierungssteine der portugiesischen Bauten vor hunderten von Jahren zu liefern. Dazwischen lagen endlose Paddelstrecken mit zum Teil unberechenbaren Windverhältnissen. Knapp 50 Kilometer legten wir in diesen Tagen zurück. Am zweiten Tag wurden wir in einem Dorf begeistert empfangen. Waren doch in dem einsam gelegenen Dorf zu dem keine Straße führt noch nie „Farangis“ im Tankwa angekommen. Und so wurden wir zu Injera und selbstgebrautem Hirsebier eingeladen (letzteres ist ein zweifelhafter Genuss).
Gegen Abend zogen sich rund um den See die Wolken zu grauen Türmen zusammen. Aber Tim war sich sicher: es regnet hier nie zu dieser Jahreszeit. Er gab seine Position erst bei den ersten Tropfen auf. Kurz bevor wir das Wasser verließen, der Gewittersturm fing gerade an, schnaubte etwas hinter uns. „Chris, alles in Ordnung?“ – „Ich war das nicht!“, kam es nur unschuldig zurück. 50 Meter hinter ihm tauchte ein Hippo in unserem Fahrwasser auf. Gut, dass wir im felsigem Gelände gerade das Wasser verlassen wollten. Im Regen konnten wir gerade noch unser abendliches Feuer entzünden, um noch unser letzten Vorräte zu einem genüßlichen Pasta zu verbrutzeln (am Vorabend hatte es eine delikate Bockwurst-Bohnen-Pfanne gegeben). Anschließend verbrachten wir die nächsten zwei Stunden damit, uns von einer Seite pitschnass regnen zu lassen, während die andere Seite am dem Regen trotzenden Feuer trocknete. Nicht die beste Medizin für die ohnehin schmerzenden Schultern, aber schließlich verzog sich das Gewitter und wir konnten dann doch eine trockene Nacht verbringen.
Ziemlich geschafft kamen wir schließlich wieder im Tim und Kim Village an, stolz einen „wichtigen“ Beitrag für die Geschichtsdokumentation geleistet zu haben. Meine Begeisterung für Tankwas hält sich allerdings seitdem in Grenzen. Die Fischer vor Ort sind ganz begeistert, dass sie Ihre Bootstradition seit über 2000 Jahren nicht geändert haben. Vielleicht hätten sie sich in der Zeit etwas Wasserfestes einfallen lassen können. Zurück bei den Damen wurden wir natürlich erstmal wieder aufgepäppelt. Und so konnte ich tagsdrauf auch daran gehen, meine Versprechen bezüglich der Signalhörner einzuhalten. Da ich die Elektrik aber zuletzt vor rund 4 Jahren auseinander genommen hatte, brauchte ich doch einige Zeit die Logik dieses Systems und meiner eigenen Dokumentation wieder zu verstehen. Aber schließlich konnte ich den Lake Tana mit dem Klang unseres Signalhorns erfreuen.
Chris machte sich schon auf den Weg nach Addis und wir feierten noch Kims Geburstag. Tagsdrauf kamen neue Gäste: Axel – ein alter Bekannter von Tim und Kim – und Rodrigo aus Berlin, die zusammen ein Solarprojekt organisiert bzw. dokumentiert hatten. Axel ist Musiker und hatte seine Gitarre dabei. So genossen wir einen einmaligen Abend bei ziemlich guter Musik und klasse Texten. Aber irgendwann ist halt Zeit zu gehen. Schade! Wir können diesen Platz nur jedem empfehlen und vielleicht kommen wir auch mal wieder…
Marcel